Die Welt vom 30.04.2015; Interview mit Daniel Albrecht

Dutzende beglaubigte Urkunden – und wehe, ein Detail fehlt: Deutsche und chinesische Grenzbeamte zählen zu den penibelsten der Welt. Oft sind sie härter, als es der Politik lieb ist

Von Johnny Erling, Die Welt vom 30.04.2015: https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article140312794/Wettruesten-der-Visumbuerokraten.html

Aus dem Artikel: 

"Sie wolle ihren Vater in Frankfurt besuchen, sagte die Chinesin nach ihrer Ankunft auf dem Münchner Flughafen den Grenzbeamten. Der Mann sei dort Direktor bei einer großen Bank. Es war eine unglückliche Antwort auf die routinemäßige Frage zum Zweck ihrer Reise. Obwohl ihr Vater wirklich einem bedeutenden Geldhaus vorsteht und sie in ihrem chinesischen Pass ein gültiges Schengen-Visum hatte, musste die junge Frau als illegal Einreisende postwendend nach Hause zurückfliegen. Ihr Fehler: Das Visum war von der französischen Botschaft in Peking ausgestellt worden. Schwerpunkt ihrer 
Reise hätte Frankreich sein müssen, nicht Deutschland. Formalrechtlich hatte sie ihr Schengen-Visum missbraucht. Das vereinte Europa ist visumsrechtlich noch eine Summe von Einzelstaaten. Die deutschen Grenzer handelten korrekt, um Missbrauch mit dem Schengen-Visum abzuwenden. Mit der Bankertochter trafen sie allerdings die Falsche.

So wie die Deutschen legt auch China penibel genau seine Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für Ausländer aus. Das bekam der Chef der Duisburger Hafen AG Duisport, Erich Staake, zu spüren. Er begleitete als Delegationsmitglied die im April von Peking eingeladene NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Staake hatte ein bis Mitte Juni gültiges China-Visum. Dennoch stoppten ihn Pekings Flughafengrenzer und schickten ihn retour nach Düsseldorf.  Sein Fehler: Sein Visum war nur für zwei Ein- und Ausreisen gültig, die er aufgebraucht hatte. Im guten Glauben, dass alles in Ordnung ist, hatte sein Büro das übersehen. Zumal China und Duisburg gut im Geschäft sind, seit Staatschef Xi Jinping 2014 Duisburg als europäischen Fracht-Endbahnhof seiner neuen Seidenstraße besuchte.

Auch Staake war beim Empfang für Xi dabei. Für die Grenzer zählte aber nur, dass er keine gültige Einreiserlaubnis besaß. Im Nachhinein war der Zwischenfall, den die "Rheinische Post" beschrieb, Peking peinlich. Die "Global Times" übersetzte und veröffentlichte den Zeitungsbericht über das von allen bedauerte Missgeschick. Über solche unflexiblen Barrieren und eine, wie der deutsche Botschafter in Peking, Michael Clauss, sagte, "erkleckliche" Menge von Nachweisen und Papieren, die man auf beiden Seiten für ein Visum anschleppen muss, stolpern Reisende immer wieder. Kanzlerin Angela 
Merkel wurde in den vergangenen Jahren noch auf jeder ihrer Chinareisen mit Beschwerden konfrontiert, sobald sie mit Unternehmern zusammentraf.

Nicht anders erging es auch NRW-Chefin Kraft, deren Bundesland bisher milliardenschwere chinesische Investoren vom Baumaschinenkonzern Sany bis zum IT- und Netzwerkgiganten Huawei anzog, der seine Europazentrale in Düsseldorf errichtete. Alle beklagten Visumprobleme, die ihre Freude amInvestitionsstandort Deutschland dämpften.

Frau Kraft verlangte in Peking, dass Brüssel die Schengen-Regeln reformiert und die Visumprozeduren vereinfacht. Vor allem, weil es die Schengen-Länder sonst selbst in ihre Hand nehmen und gegenseitig mit ihrer eigenen Visapolitik zu Konkurrenten werden, um die Besucher aus Fernost anzuziehen. "Wir dürfen da nicht zurückfallen." Deutschland, das sich an die Schengen-Bestimmungen hält, hat bereits das Nachsehen. Es benötigt zur Bearbeitung der Visa doppelt so viel Zeit wie Frankreich, Spanien oder Italien. Diese nehmen es mit den Schengen-Bestimmungen nicht so genau, vereinfachten ihre Anforderungen für ein Visum und reduzierten Wartezeiten für Antragsteller auf 48 oder gar 36 Stunden.

Sie folgten dem Beispiel von Großbritannien, den USA oder Japan, die ihre Visumpraxis liberalisierten. Ihre Schranken an den Grenzen gingen hoch, seit sich vor rund fünf Jahren die neue Völkerwanderung mit Chinas globalem Massentourismus, dem Kaufrausch und dem großen Sprung in den Auslandsinvestitionen abzeichnete.

Rupert Hoogewerf, der in Shanghai seit 15 Jahren die Hurun-Reichenlisten herausgibt, vergleicht den Hype um Chinas Touristen und Anleger mit der einstigen Aufregung um die Japaner. "Bei China ist es stärker, denn sie sind die Einzigen auf weitem Feld. Das Geschäft mit den Reisenden aus den USA und Europa stagniert. Indien und Brasilien sind noch nicht so weit, die Russen fallen wegen dem Rubel wieder raus." 

Die Superreichen in der Volksrepublik, die den Trend anführen, seien vor fünf Jahren im Durchschnitt zweimal im Jahr ins Ausland zum Luxusshoppen gefahren. Heute machten sie sechs Reisen pro Jahr. Die Hongkonger Großbank HSBC sagt voraus, dass "100 Millionen Menschen
in den kommenden zehn Jahren in die ausgabefreudige Mittelschicht aufsteigen werden." Das treibe Chinas Auslandsinvestitionen, Konsum und 
Tourismus weiter an.

Auch Staatschef Xi Jinping warb im April auf der Wirtschaftskonferenz von Boao: Seine Landsleute würden bis 2020 "500 Millionen Mal auf Auslandsreisen gehen. Staatskonzerne und Privatunternehmer werden 500 Milliarden US-Dollar Investitionen im Ausland anlegen.

Wenn es um Bürokratie geht, treffen sich Brüssel und China auf Augenhöhe. Bilaterale Abrüstungsinitiativenkommen nicht dagegen an, 
selbst wenn sie von den Regierungschefs persönlich vereinbart werden. Bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen im 
vergangenen Oktober einigten sich Berlin  und Peking auf die gegenseitige Vereinfachung ihrer Visumantragsverfahren, darunter auch 
die Bearbeitung von Kurzzeitvisa innerhalb von 48 Stunden und die Ausgabe von Mehrjahresvisa.

Doch in Brüssel wurden dazu keine Weichen gestellt. Botschafter Clauss, ein engagierter Verfechter der vonKanzlerin Merkel zugesagten 
schnelleren Verfahren, gestand vor chinesischen Journalisten ein: "Wir sind noch in der Umsetzungsphase, haben das noch nicht erreicht, 
arbeiten aber mit Hochdruck daran." Beim jährlichen Tag der offenen Tür, den die Botschaft dem Thema Tourismus widmete, tat er sich 
mit der Frage schwer, was aus der vor sechs Monaten geschlossenen Vereinbarung zwischen Merkel und Premier Li wurde.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist der beiderseitige Reformstau "ebenso unvernünftig wie unverantwortlich. Einer muss endlich mit dem Abrüsten 
anfangen", sagte der Pekinger Rechtsanwalt Daniel Albrecht der "Welt". Mit seiner Beratungsagentur Starke Consulting betreut er chinesische 
Anleger. Die Niederlassungserlaubnis für sie zu erhalten sei so kompliziert, dass es ohne Anwalt nicht gehe. Albrecht betreut bis zu 20 Investoren 
pro Jahr, die in Projekte wie Hotelbeteiligungen oder Kliniken "ein bis zwei Millionen Euro" investieren wollten. "Immer mehr zeigen daran Interesse." 
Um so mehr ärgern ihn die unterschiedlichen Visumstandards für Geschäftsgründungen. Briten, Spanier oder Portugiesen geben sich mit dem 
Nachweis einer ernsthaften Investition ihn Höhe von 500.000 Euro zufrieden. Deutschland aber überprüft die Person des Investors. Der muss 
alles Mögliche nachweisen, vom absolvierten Grundsprachkurs A1 bis zur Rentenanwartschaft in einer deutschen Versicherung, wenn er über 
55 Jahre alt ist. "Deutschland geht immer vom schlimmsten Fall aus." China lässt sich im Gegenzug auch einiges einfallen. Etwa, dass deutsche 
Unternehmensgründer einen Studienabschluss haben müssen. "Da Chinesen Meistertitel nicht anerkennen, hat ein KF- Meister keine Chance, 
ein Existenzgründervisum zu erhalten." Seit 2010 hat sich die Zahl der chinesischen Touristen, die Deutschland besuchen, verdoppelt. 640.000 
Mal fuhren Deutsche nach China. Doch die unterschiedlichen Anforderungen und Bearbeitungszeiten wirken sich negativ aus. Die Kurve der in 
China gestellten Anträge flacht ab."